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Die Folgen des verloren gegangenen Unterrichts  

Tablett, e-learning, Symbole

Der Bildungsökonom des Ifo-Instituts Prof. Dr. Ludger Wößmann* warnt deutlich: Der Corona-bedingte Ausfall des Unterrichts wirkt sich negativ auf das spätere Einkommen der Schüler und Schülerinnen aus. Verloren gegangener Unterricht von etwa einem Drittel des Schuljahres sei im späteren Berufsleben durchschnittlich mit etwa drei bis vier Prozent geringerem Erwerbseinkommen verbunden. Das resultiert vor allem aus einer Verringerung der Kompetenzentwicklung, die den späteren Erfolg betroffener Schüler und Schülerinnen auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft beeinträchtigen wird. Insbesondere weist Wößmann auf eklatante Unterschiede der Auswirkung eines „Lernverlustes zwischen Kindern aus unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen und zwischen lernschwachen und -starken Schülern und Schülerinnen“ hin. Das zeigten vor allem „Untersuchungen streikbedingter Schulschließungen, vorab geplanter Kurzschuljahre und langer Schulferien". 
JAMM Die Bildungsmanager raten daher dringend, Konzepte zu entwickeln, die gewährleisten, alle Schülerinnen und Schüler schnellstmöglich mit und ohne Anwesenheit in der Schule unterrichten zu können. Alle Bildungsverantwortlichen sind in der Pflicht, den künftigen Berufserfolg der Schüler und Schülerinnen nicht weiter zu schmälern und nachhaltige Bildungskonzepte zu entwickeln. Wir gehen davon aus, dass die Bereitstellung finanzieller Mittel zur Beschaffung digitaler Endgeräte ohne die Erstellung von einschlägigen Bildungskonzepten nicht ausreichen wird. Das bestätigt auch der der Nationale Bildungsbericht 2020, nach dem vor allem die Konzepte fehlen, „mit denen die Kinder einerseits auf eine digitalisierte Arbeits- und Lebenswelt vorbereitet werden und mit denen andererseits das Lernen besser und gerechter gestaltet werden kann.“**   JAMM Die Bildungsmanager haben die Relevanz der Entwicklung solcher Konzepte sowie erste Ideen hierzu bereits in ihrem Artikel „Die Corona-Krise – Eine VUCA-Welt für neue Bildungsformen“ aufgezeigt. 

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Die Corona-Krise – Eine VUCA-Welt für neue Bildungsformen 

Die Bildungsmanager von JAMM erklären, warum die Corona-Krise zeigt, dass wir in einer VUCA-Welt leben und welche Chancen das für die Entstehung neuer Bildungsformen bietet. 

 


Warum leben wir in der VUCA-Welt? 


VUCA ist das Kunstwort für die Welt, die wir momentan erleben. Das ist eine Zeit mit hoher Schwankungsintensität (volatiliy), großer Unsicherheit (uncertainty), steigender Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit der Informationen (ambiguity). Die Corona-Krise führt uns das deutlich vor Augen: 
Radikale Veränderungen finden innerhalb kürzester Zeit statt. Schulen, Restaurants, Geschäfte sind geschlossen, Unternehmen erleben Einbrüche, das öffentliche Leben ist auf ein Minimum reduziert, keiner weiß, wie es weitergeht. Das führt zu großer Unsicherheit. Hamsterkäufe finden statt. Klopapier wird zum Symbol dieser Unsicherheit. Täglich erleben wir die Komplexität der Krise. Enorm viele Einflussfaktoren und Abhängigkeiten machen es nahezu unmöglich, die eine Lösung des Problems zu finden. Es gibt keine Erfahrungswerte, die direkt umsetzbar sind. Auf der Grundlage gleicher Informationen kommen Politiker und Wissenschaftler zu verschiedenen Schlussfolgerungen. Mehrdeutigkeit wird sichtbar. In einer VUCA-Welt können keine sicheren und eindeutigen Entscheidungen unter Zugrundelegung von Erfahrungswerten getroffen werden. Herkömmliche Methoden stoßen an ihre Grenzen. VUCA verlangt nach neuen Kompetenzen und Strukturen. 

 


Wie kann man in der VUCA-Welt leben? 


Als erstes wird viel Mut notwendig sein, um die Unsicherheit hinzunehmen und mit ihr zu leben. In einer VUCA-Welt müssen Ambivalenzentscheidungen getroffen werden. Oft werden sich diese Entscheidungen auf einfaches Ausprobieren beschränken mit dem Maßstab: Abwarten, ob es funktioniert und erneut handeln. Neben dem Mut, widersprüchliche Entscheidungen zu treffen, ist es notwendig, die bestmöglichen Grundlagen dafür zu schaffen. Transparenz, Orientierung, Klarheit und Vertrauen in die persönlichen Werte. Erforderlich sind daher die Entstehung neuer Strukturen, um die neuen Kompetenzen fördern und die eigenen Werte erkunden zu können. 

 


Wie funktioniert Bildung in der VUCA-Welt? 


Bildung in der VUCA-Welt bedeutet zum einen die Aneignung von Wissen und Kompetenzen unter den Rahmenbedingung der VUCA-Welt (intensive Schwankungen, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit). Zum anderen bedeutet es aber auch, genau das Wissen und die Kompetenzen zu vermitteln, die man benötigt, um in der VUCA-Welt zu bestehen. Bildungsstrukturen einer VUCA-Welt müssen es daher ermöglichen, mit intensiven Schwankungen, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit umzugehen und unter diesen Rahmenbedingungen die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. 

 


Warum Bildungsmanagement in der VUCA-Welt? 


Die Schaffung neuer Strukturen ist Managementaufgabe. Denn dabei geht es nicht nur um die Veränderung pädagogisch-didaktischer Konzepte oder Lehrmethoden. Vielmehr geht es darum, die Bildungsstruktur insgesamt zu verändern. Hierzu sind Management- Kompetenzen, insbesondere in den Bereichen Changemanagement, Organisationsmanagement, Prozessmanagement und Kommunikationsmanagement, erforderlich. Der Aufbau eines neuen Bildungsprozess-Managementsystems, in das dann auch neue pädagogisch-didaktische und lehrmethodische Konzepte einfließen, erfordert verschiedene Steuerungsinstrumente. 

 


Wie funktioniert Bildungsmanagement? 


Am Anfang steht die Vision: Bildungsformen für die VUCA-Welt. Aus der Vision entsteht ein langfristiges strategisches Ziel, das in viele kurzfristige Ziele aufgeteilt wird. 
In der Corona-Krise mussten Bildungseinrichtungen ihre Bildungsleistungen umstellen. Mutige Verantwortliche von Bildungseinrichtungen und viele mutige Lehrer haben Großes geleistet und aus jahrelangen Diskussionen der Politiker innerhalb weniger Tage Taten gemacht. Der Grundstein für neue digitale Bildungsformen ist gelegt. Nun gilt es, die Chance zum Aufbau dieser Bildungsformen unter Einsatz professioneller Bildungsmanagement-Methoden zu nutzen. Ein erstes kurzfristiges Ziel könnte der Aufbau eines Prozessmanagementsystems sein, um die in kurzer Zeit geschaffenen vielfältigen digitalen Bildungsformen zu vereinheitlichen, zu dokumentieren und damit ihre Nutzung zu erleichtern und ihre Beständigkeit zu sichern. 

 


Was kann Prozessmanagement bewirken? 


Prozessmanagement bedeutet, interne Abläufe schnell, nahezu fehlerfrei, kostengünstig und zur Zufriedenheit der Kunden zu realisieren. Abläufe, Verantwortlichkeiten und Schnittstellen werden damit für jeden Mitarbeiter sichtbar, Regelungen und Arbeitsunterlagen schnell auffindbar. Komplexität wird reduziert. Die Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen wird verbessert – ein Umschalten von der einen Bildungsform auf die andere kann schneller und komplikationsloser realisiert werden. Durch kontinuierliche Verbesserung der Abläufe wird die Anpassungsfähigkeit an neue Rahmenbedingungen erleichtert. Prozessmanagement verbessert durch den gezielten Einsatz von Ressourcen die Wirtschaftlichkeit und die gewünschten Ergebnisse von Bildungseinrichtungen. 

 


Was ist beim Aufbau eines Prozessmanagements zu beachten? 


Das Positive an der Krisensituation ist, dass keine Vorbereitung für einen Veränderungsprozess getroffen werden müssen, denn die Veränderung passiert bereits. Alle Bildungsakteure mussten auf digitale Bildungsformen und -abläufe umstellen. Die große Vielfalt dieser neu entstandenen Abläufe muss nun strukturiert und optimiert werden. 
Im ersten Schritt ist eine Bestandsaufnahme aller vorhandenen Abläufe vorzunehmen. Was wurde bisher gemacht? Welche Infrastruktur (Hardware, Software) wurde genutzt? Wie wurden Datenschutz und Sicherheitsaspekte beachtet? Welche Lernmanagementsysteme (Plattformen, Webinare, Clouds, etc.) wurden genutzt? Wurden Richtlinien zum Umgang mit den Lernmanagementsystemen, zum Einstellen von Lern- und Lehrmaterial, Arbeitsergebnissen, zur Dokumentation, Moderationsregeln im digitalen Raum, etc. erstellt? 
Im zweiten Schritt ist die Entwicklung eines einheitlichen Prozesses sinnvoll. Hierbei bieten sich verschiedene Methoden der Priorisierung an. Welche Software hat sich am meisten bewährt? Welche Lernmanagementsysteme werden einheitlich zu welchem Zweck verwendet? Beispielsweise findet Kommunikation über eine bestimmte Plattform statt, digitaler Unterricht in einer bestimmten Webinar-Form, zum Einstellen von Lehrmaterialien wird ein bestimmtes Dateiformat verwendet, Arbeitsergebnisse werden in einer bestimmten Art erstellt, etc. 
In einem weiteren Schritt ist jeder Prozessablauf genau zu beschreiben und z.B. in Form einer Prozesslandkarte zu visualisieren. Jeder, der mit diesem Prozess arbeitet muss zu jeder Zeit wissen, was er genau zu tun und zu beachten hat. 
Sobald ein Prozess in dieser Form erstellt ist, muss er eingeführt werden. Alle am Prozess Beteiligten, also auch die Lernenden und ggf. deren Eltern werden mit dem Ablauf des Prozesses vertraut gemacht, jeder der Beteiligten sollte den Prozessablauf verstanden haben und Zugriff auf die erstellte Prozessbeschreibung erhalten. 
Sehr wichtig ist es, einen Prozessverantwortlichen zu bestimmen. Diesem werden dann im weiteren Verlauf Änderungs- und Verbesserungsvorschläge übermittelt, so dass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht. 

 


Kann man mit Bildungsmanagement den eigentlichen Bildungsprozess entwickeln? 


Das Management des Bildungsprozesses ist von den rein technischen Abläufen zu unterscheiden. Hier geht es darum, die neuen Bildungsformen konkret mit den folgenden Fragestellungen zu betrachten: 
In welcher Form wird gelehrt? Wird in Webinar-Form ohne Interaktion/mit Interaktion mit den Lernenden unterrichtet? Wird Lehrmaterial zur Verfügung gestellt, das im Selbststudium bearbeitet werden soll? Welcher Lehrstoff eignet sich für welche Methode? Wie können Rituale eingeführt werden? 
Wie werden Arbeitsergebnisse kommentiert, kontrolliert und bewertet? Wie wird sichergestellt, dass das Arbeitsergebnis von dem Lernenden stammt? 
In welcher Form können Leistungstests durchgeführt werden? Wie kann der Transfer überprüft werden?
Welche Fortbildungen für die Lehrenden sind notwendig? 
Bildungsmanager raten, auch für den Bildungsprozess ein Managementsystem zu erstellen. Es kann helfen, den Umgang mit digitalen Bildungsformen zu erleichtern und effektiv umzusetzen. Der Bildungsprozess kann regelmäßig evaluiert und an Veränderungen angepasst werden. 

 


Wie kann dieser Veränderungsprozess erfolgreich umgesetzt werden? 


Wichtig ist es, jetzt dranzubleiben. Es wurden viele Grundlagen geschaffen. Zu einer VUCA-Welt passt agiles Projektmanagement. Das große Projekt des Aufbaus digitaler Bildungsformen kann mithilfe agiler Methoden in kleine Einzelprojekte oder Projektschritte geteilt werden. 
Eine Projektgruppe bestehend aus möglichst heterogenen Projektbeteiligten – also durchaus auch Schüler/-innen, Eltern, Kommunen, Informatiker, etc. - kann sich dann z.B. mit den Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Datenschutz, Sicherheit) des digitalen Lernens befassen. Sobald dieses Teilprojekt erledigt ist, kann ein weiteres in Angriff genommen werden. Mehrere Teilprojekte mit verschiedenen Projektgruppen können parallel laufen. Je nach Projektverlauf können bereits digitale Bildungsformen getestet und auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. 
Als wirksames Instrument hat sich die Scrum-Methode erwiesen mit ihren Vorteilen der kurzen Kommunikationswege, hohen Flexibilität, Effektivität und Transparenz. Allerdings lassen die starren Strukturen in Bildungseinrichtungen derartige Arbeitsweisen nur schwer zu. 

 


Fazit 


Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass auch ein komplexes System in der Lage ist, sich sehr schnell mit den digitalen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Das hat uns gezeigt: Ein komplexes System liefert die Lösungen für die Probleme, die es macht. 
Genau jetzt gilt es, diese Chance zu nutzen, aus den diversen, je nach Knowhow der Bildungsverantwortliche kreierten digitalen Vorgehensweisen zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs die Best-Practice-Methoden herauszufiltern und zu dokumentieren. Die große Arbeit, die innerhalb weniger Wochen geleistet wurde, muss fortgesetzt werden. Der Grundstein für die Digitalisierung der Bildung ist gelegt. 
Jetzt ist Bildungsmanagement gefragt. Die individuellen Ansätze sind zu analysieren, wertvolle Handlungsweisen herauszustellen und zu verfolgen. Das bietet große Chancen für die Zukunft, den bestehenden Lehrermangel aufzufangen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiver einzusetzen und dem sozialen Gefälle mit Bildung entgegenzuwirken.

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